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27.06.04

Interview mit Johannes Bebak

[Aufgaben zu dem Text]


Warnung vor Fleckfieber/Typhus - einer der häufigsten Todesursachen in sowjetischen Lagern

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Interview mit Johannes Bebak

Johannes Bebak, Soldat der deutschen Wehrmacht, wurde im Frühjahr 1945 im Kurlandkessel von der Roten Armee gefangen genommen. 1946 wagte er die Flucht aus dem sibirischen Lager Ufaley. Die History-Autoren Mario Sporn und Lars Ole sprachen mit ihm über die Zustände im Lager und die missglückte Flucht.

ZDF: Herr Bebak, wie waren die Zustände im Lager Ufaley, in das Sie 1946 eingeliefert wurden?

»Jede Nacht starben vier oder fünf Mann. Man musste damit rechnen, irgendwann auch an der Reihe zu sein

Johannes Bebak: Als ich in das Lager kam, herrschte dort schon das Fleckfieber. Jede Nacht starben vier oder fünf Mann. Man musste damit rechnen, irgendwann auch an der Reihe zu sein. Die Baracken lagen etwas höher, mit einer Holztreppe davor. Nachts, wenn die Toten rausgezogen wurden, hörte man immer, wie sie mit dem Kopf auf den Stufen aufschlugen: bumm, bumm, bumm. Da ist bei uns der Entschluss gereift: Hier müssen wir weg, wenn wir überhaupt überleben wollen.

ZDF: Wie ist Ihnen die Flucht aus dem Lager gelungen?

Bebak: Wir hatten die Flucht in allen Details geplant - ein Kamerad, der in der Küche gearbeitet hat, der Bregadier, ein anderer Kumpel und ich. Der Brigadier hat uns in einer Kolonne zusammengefasst, so dass wir zur selben Zeit arbeiteten. Der Kamerad aus der Küche hat Verpflegung beiseite geschafft. Nacht für Nacht haben wir an einem Loch unter dem Zaun gearbeitet, und da sind wir schließlich durchgekrochen.

Wehrmachtssoldat Johannes Bebak

ZDF: Sie und Ihre Kameraden waren im Winter unterwegs. Mussten Sie nicht ständig Angst haben, zu erfrieren?

Bebak: Sicher. Eines Nachts bereiteten wir vor einer Höhle unser Nachtlager. Im Laufe der Nacht hatte ich das Gefühl, als ob ich von einem Tier berührt werde. Als ich aufschreckte, merkte ich, dass meine Kumpel gar nicht mehr zu sehen waren. Sie waren eingeschneit. Dadurch, dass ich von diesem Tier geweckt wurde, es muss wohl ein Wolf gewesen sein, konnte ich meine Kumpel aus dem Schnee herausholen.

ZDF: Abgesehen von der Kälte gab es aber vor allem die Gefahr, als Kriegsgefangener erkannt und aufgegriffen zu werden...

Bebak: Wenn wir uns im Lager über Flucht unterhielten, dann hieß es: wer von hier aus türmt, hat kaum eine Chance, bis nach Hause zu kommen. Denn man muss durch den Ural, ein Verbannungsgebiet, das dermaßen kontrolliert ist, dass man da nicht durchkommt. Und wem das gelingt, der wird spätestens beim Übergang über die Wolga scheitern. Und sollte das doch noch jemandem gelingen, dann ist vor Moskau Endstation.

ZDF: Zwei Ihrer Kameraden wurden tatsächlich im Ural gefasst. Waren Sie die ganze Zeit zu Fuß unterwegs?

Bebak: Wir sind zu Fuß nur wenige Kilometer am Tag vorangekommen. Also haben wir uns eine andere Taktik überlegen müssen: Mit unserer Kleidung sahen wir aus wie LKW-Fahrer und haben uns daher auf die offene Landstraße hinausgewagt. Wir haben irgendeinen Laster angehalten, und mein Kumpel Josef Guschal, der gut russisch sprach, sagte dann: "Towarisch, poswenitje nam!" - "Nimm uns bitte ein Stück des Weges mit! Wir fahren mit unserem Wagen Holz und haben einen Achsenbruch. Wir müssen in eine Werkstatt." So haben wir uns per Anhalter vorwärts bewegt.

Bebak
Flucht missglückt: Bebak wurde zu 25 Jahren Zwangsarbeit verurteilt

ZDF: Wie ist es Ihnen dann gelungen, nach Moskau hineinzukommen? An den Stadtgrenzen gab es doch sicherlich Kontrollen.

Bebak: Wir fuhren auf einem Laster Richtung Moskau, als wir ungefähr 15 Kilometer vor Moskau an einem Kasernengelände vorbeikamen. Da standen zehn russische Landser in ihren Uniformen und wollten auch in die Stadt hinein. Unser Wagen hielt an und die Rekruten sprangen bei uns auf. So standen wir in einem Kreis von Rekruten und sind dadurch über die Stadtgrenze gekommen. Wir sind von keiner Seite aus kontrolliert worden. Da die Landser mit uns auf dem Wagen standen, hat man uns wohl vollkommen übersehen.

ZDF: Sie waren drei Monate unterwegs und legten 3000 Kilometer zurück, ohne gefasst  zu werden. Wie kam es, dass Ihre Flucht dann doch misslang?

Bebak: Als ich nach Wjasma kam, steuerte ich den Basar an, um etwas zu Essen zu besorgen. Da war aber nichts zu bekommen, deshalb ging ich zu einer Gaststätte im Bahnhof. Der Bahnhof hatte so eine Pendeltür. Ich stieß die Tür auf - und traf damit einen Milizbeamten, der kriegte die Tür gegen den Kopf. In dem Moment, als ich die Uniform sah, war ich so schockiert und sagte: "Iswenitje", also "Entschuldigen Sie!". Da habe ich einen großen Fehler gemacht! Ich hätte sagen sollen "Du Holzkopf, tu doch deinen Kopf weg!", oder so was ähnliches, was die übliche Umgangssprache bei den Russen war. Aber dieses "Iswenitje" hat ihn skeptisch gemacht und er hat gesagt: "He, tui woina plenni?" - "Bist du Kriegsgefangener?"

Alles Leugnen half nichts, der Milizbeamte nahm den Entflohenen in Haft. Bebak wurde zu 25 Jahren Zwangsarbeit verurteilt. Wider Erwarten kam er nach vier Jahren frei und kehrte nach Deutschland zurück.

Von: ZDF Politik und Zeitgeschehen