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In allen Untersuchungen zur Freizeit in den fünfziger Jahren wurde als auffälligster Grundzug die ausgeprägte Häuslichkeit und das Beisammensein innerhalb der Familie betont. Der private Rückzug prägte nicht nur den werktäglichen Feierabend, sondern auch das lange Wochenende. Arbeit in Haus und Garten, die Lektüre der Tageszeitung und das Radio bildeten das Zentrum der Freizeit. Die Verstärkung nachbarlicher Bindungen, welche die Soziologen und Städteplaner sich von den Siedlungen des sozialen Wohnungsbaus erhofft hatten, wollte sich nicht einstellen, und auch in den neuen Eigenheimvierteln der Vor- und Satellitenstädte lebten die meisten Familien eher für sich. Für den besonders ausgeprägten Hang zum Familiären und Privaten gab es verschiedene Gründe. Vor allem ist der sehr lange Arbeitstag (Arbeitszeit plus Arbeitswegzeit) anzuführen. Wer zwischen sechs und sieben Uhr morgens aufstand und zwischen 18 und 19 Uhr abends nach Hause zurückkehrte - dies sind die Mitte der fünfziger Jahre ermittelten Durchschnittswerte für die erwerbstätige Bevölkerung - der suchte zunächst einmal Ruhe. Außerdem lag die Trennung vieler Familien durch die Abwesenheit des Vaters als Soldat und in der Gefangenschaft, der Söhne und Töchter durch die Evakuierung im Krieg, durch Ausbombung und Wohnungsnot noch nicht lange zurück. Das Anwachsen des Wohlstands und der zur Verfügung stehenden Freizeit änderte zunächst wenig an der vorherrschenden Häuslichkeit, die durch steigenden Komfort immer attraktiver wurde, nicht zuletzt durch die Ausstattung mit elektronischen Massenmedien. Die wichtigste außerhäusliche Unternehmung bildete für einen kleineren Teil der Bevölkerung der Sport. Etwa ein Viertel betätigte sich regelmäßig oder gelegentlich sportlich. Die Mitgliederzahl der Sportvereine erhöhte sich von vier Millionen (1954) auf 4,8 Millionen (1959). Etwa 40 Prozent davon waren Kinder und Jugendliche unter 18 Jahren. Der Vereinssport stellte in den fünfziger Jahren eine männliche Domäne dar. Nur etwa ein Siebtel der erwachsenen Mitglieder waren Frauen. Die fünfziger Jahre gelten als das deutsche Kinojahrzehnt. Allerdings hatte die Zahl der Kinobesuche mit 490 Millionen (das heißt etwa zehn je Einwohner) 1950 noch längst nicht den im Zweiten Weltkrieg bereits erreichten Höchststand eingeholt. In der ersten Hälfte der fünfziger Jahre erfolgte allerdings eine rasche Zunahme auf etwa 820 Millionen (= 15,6 Kinobesuche je Einwohner) 1956. Danach ging die Zahl der Kinobesuche allmählich wieder unter den Stand von 1950 zurück. Schließlich soll als besonderes außerhäusliches Ereignis der Kirchgang - gewöhnlich am Sonntagvormittag - erwähnt werden, der während der fünfziger Jahre, entgegen dramatischen Klagen über eine fortschreitende Verweltlichung der Gesellschaft, gleichbleibend hoch blieb. Über die Hälfte der Katholiken und etwa ein Siebtel der Protestanten zählten zu den regelmäßigen Kirchgängern. Bei der traditionell höheren Gottesdienstaktivität der Katholiken muß zudem bedacht werden, daß sie eher in kleineren Ortschaften lebten, wo der sonntägliche Kirchgang stärker zum Lebensrhythmus der Bevölkerung gehörte als in der Stadt. Erst seit Mitte der sechziger Jahre verringerte sich die Zahl der Gottesdienstbesuche zuerst langsam, dann sehr rasch, Anzeichen eines Bruchs im kirchlichen Verhalten zwischen den Generationen ©Deutschland in den 50er Jahren
Die Kinder und Jugendlichen hatten in der unmittelbaren Nachkriegszeit die materielle Not der gesamten Bevölkerung geteilt: Unterernährung, Wohnungsnot, Flüchtlingselend und anfangs häufig auch Vaterlosigkeit kennzeichneten die Situation in den Familien. Der dafür geläufige Begriff der Jugendnot wurde auch um 1950 noch häufig benutzt. Vor allem die Wohnverhältnisse waren sehr beengt und verbesserten sich nur langsam. Nach repräsentativen Erhebungen verfügten Anfang der fünfziger Jahre nur 40 Prozent, Mitte des Jahrzehnts etwa 50 Prozent der Jugendlichen (14 bis 21jährigen) über einen eigenen Raum, während die anderen das Schlafzimmer mit den Eltern bzw. einem Elternteil oder Geschwistern teilten. Jugendnot schloß Anfang der fünfziger Jahre die unter Jugendlichen besonders hohe Arbeitslosigkeit ein. Eine Viertelmillion Erwerbslose unter 25 Jahren zählte die amtliche Statistik 1950, und es wurde sogar der Vorschlag gemacht, die Schulzeit zu verlängern, um den Arbeitsmarkt zu entlasten. Nur wenige Jahre später hatte der wirtschaftliche Aufschwung dafür gesorgt, daß statt hoher Arbeitslosigkeit die frühe Berufstätigkeit typisch für die Lebenssituation der Jugendlichen geworden war. Mehr als vier Fünftel der Jugendlichen teilten den langen Arbeitstag der Erwachsenen. Nach den bis 1960 gültigen Regelungen des Jugendarbeitsschutzes war für 14 bis 18jährige eine wöchentliche Arbeitsdauer von maximal 48 Stunden zulässig. Empirischen Erhebungen zufolge arbeitete aber ein großer Teil der Jugendlichen noch länger. Schulbesuch 1950 besuchte lediglich ein Zehntel, 1960 dann ein Fünftel der 16jährigen Jugendlichen noch eine allgemeinbildende Schule. Die grundlegende soziale Struktur der Gesellschaft bildete sich zu dieser Zeit im dreigliedrigen Schulwesen noch ebenso deutlich ab wie in den zwanziger Jahren. Von den 13jährigen - dem letzten Altersjahrgang ohne Berufstätigkeit - besuchten 1952 etwa 80 Prozent und 1960 etwa 70 Prozent Volksschulen (Grund- und Hauptschulen), sechs bzw. elf Prozent Realschulen, zwölf Prozent bzw. 15 Prozent Gymnasien. Die Abiturientenquote (des jeweiligen Geburtsjahrgangs) stagnierte zwischen vier und fünf Prozent (1950) und fünf bis sechs Prozent (1960). Charakteristisch war der relativ geringe Anteil von Mädchen, die in den fünfziger Jahren nur ein Drittel der Schülerschaft in den gymnasialen Oberstufen stellten. Stärker als die Verteilung schulischer Qualifikationen veränderte sich die Ausstattung der Schulen im ersten Jahrzehnt der Bundesrepublik. Extreme Raumnot angesichts kriegszerstörter Schulgebäude und Lehrermangel kennzeichneten die Situation um 1950. Ein Zwei-, Drei- oder sogar Vierschichtbetrieb war nicht selten. Durch großzügige Neubauprogramme und vermehrte Einstellungen von Lehrpersonen konnte die Situation rasch verbessert werden. 1950 kamen in den Volksschulen 49 Schülerinnen und Schüler auf eine Lehrkraft, 1956 nur noch 37. Allerdings blieb es dann für einige Jahre bei dieser Relation. Eindrucksvoll war die Verbesserung beruflicher Qualifikation in den fünfziger Jahren. Die Lehrlingsquote, das heißt die Zahl der Lehr- und Anlernlinge je 100 der Gleichaltrigen, stieg von 46 (1950) über 55 (1960) auf 64 (1966). Und von den Berufsschulen wurden 1949 zwei Drittel und 1952 nahezu alle männlichen Schulpflichtigen erfaßt. Die Mädchen wurden Anfang der fünfziger Jahre noch häufig wegen Überfüllung der Berufsschulen zurückgestellt - Ausdruck zeittypischer Benachteiligung. Bis zur Mitte des Jahrzehnts konnten auch sie weitgehend eingegliedert werden. Während 1950 70 Prozent aller Ausbildungsverhältnisse auf Industrie und Handwerk, 28 Prozent auf den Dienstleistungssektor entfielen, hatte sich das Verhältnis 1960 mit 50 bzw. 46 Prozent nahezu angenähert. Durch die zunehmende Qualifikation begann sich allmählich ein Bildungsgefälle zwischen den Generationen herauszubilden. Als Indikator hierfür kann beispielsweise die zunehmende Beherrschung des Englischen gelten. Die Steigerung der Bildung war allerdings nur ein Faktor der Auseinanderentwicklung von jung und alt. Ende der fünfziger Jahre betrat eine Jugendgeneration die Bühne, die den Krieg nicht mehr miterlebt hatte und im Wiederaufbau aufgewachsen war. Die Arbeitszeitverkürzungen und die höheren Löhne und Einkommen hatten mittlerweile die Möglichkeiten zur Freizeit auch der berufstätigen Jugend, also der Mehrheit der Jugendlichen, vermehrt. Und massenkulturelle Angebote in Film, Musik und Mode - nicht zuletzt aus den USA - führten zu neuen Leitbildern. Seit dem Ende der fünfziger Jahre stießen überkommene
und autoritäre Erziehungsstile und der Wunsch der Jugendlichen
nach einem selbstbestimmten Raum, einer eigenen Jugendteilkultur
(Friedrich Tenbruck) zusammen. Innerfamiliäre Kämpfe
um für die Eltern provokative Frisuren, Kleidung und Musik
gaben dem Ausdruck. Die alten Autoritäten, Eltern, Lehrer,
Lehrherren und Geistliche verloren tendenziell die Kontrolle
über die Jugendlichen, die ihre vorwiegend auf Konsum orientierten
Leitbilder zunehmend aus Unterhaltungsindustrie und Massenmedien
bezogen. ©Deutschland in den 50er Jahren
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